“Generation Faulenz”: Ein SPD-Landrat bricht das Tabu – und legt den Finger in die Wunde des Bürgergeld-Systems
Es ist ein politischer Paukenschlag, der das Fundament der deutschen Sozialdebatte erschüttert. Und er kommt aus einer Richtung, aus der ihn wohl die wenigsten erwartet hätten. Nicht von der Opposition, nicht von Wirtschaftsverbänden, sondern aus dem Herzen der Sozialdemokratie. Matthias Jendricke, SPD-Landrat im thüringischen Nordhausen, hat ein Tabu gebrochen. Mit einer einzigen, provokanten Aussage hat er eine Lawine losgetreten: “Wir züchten eine Generation von Faulänzern.”
Diese Worte sind kein leeres Poltern. Sie sind das Fundament einer neuen, radikalen Maßnahme in seinem Landkreis. Jendricke hat die Nase voll. Voll von jungen Menschen, die sich im sozialen Netz einrichten, ohne jemals einen Fuß in den Arbeitsmarkt gesetzt zu haben. Voll von einem System, das seiner Meinung nach die falschen Anreize setzt. Seine Antwort: die Einführung einer “Arbeitspflicht” für Bürgergeld-Empfänger.
Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe, denn sie rüttelt an den Grundfesten dessen, was die SPD – die Partei von Hartz IV und dem späteren Bürgergeld – als soziale Gerechtigkeit definiert. Doch Jendricke ist kein Berliner Ideologe. Er ist Kommunalpolitiker. Er sitzt an der Quelle. Er ist derjenige, der die Rechnungen am Ende des Monats auf dem Tisch hat und den Bürgern vor Ort erklären muss, warum für nichts mehr Geld da ist.

Das Experiment von Nordhausen: Arbeit für 1,20 €
Was genau passiert in Thüringen? Jendrickes Plan zielt auf eine ganz bestimmte Gruppe ab: Bürgergeld-Empfänger unter 25 Jahren, die keine Berufsausbildung vorweisen können. Für sie ist die Zeit des “faulen Rumliegens”, wie es der Volksmund nennt, vorbei. Stattdessen sollen sie gemeinnützige Arbeit leisten.
Das bedeutet konkret: Einsatz im Bauhof, in der Grünpflege oder bei Vereinen. Rasen mähen, Unkraut jäten, öffentliche Anlagen in Schuss halten. Tätigkeiten, die getan werden müssen und für die oft das Personal fehlt. Die Entlohnung? Man kann es kaum so nennen. 1,20 Euro pro Stunde, bei maximal 40 Stunden pro Woche. Es ist kein Gehalt, es ist eine Aufwandsentschädigung, die zusätzlich zum Bürgergeld gezahlt wird – oder besser: gezahlt werden soll.
Denn die Realität, die sich unmittelbar nach dem Start des Projekts offenbarte, ist noch schockierender als die Maßnahme selbst. Für das auf drei Monate angelegte Programm wurden 220 Personen identifiziert. Davon wurden 60 als “dringende Fälle” eingestuft. Man sollte meinen, die jungen Menschen würden die Chance ergreifen, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen, Kontakte zu knüpfen, dem Tag eine Struktur zu geben.
Das Ergebnis ist ein Offenbarungseid. Am ersten Arbeitstag erschienen: acht.
Nur 8 von 220: Ein Weckruf, der lauter nicht sein könnte
Acht. Von zweihundzwanzig. Diese Zahl ist mehr als nur eine Statistik. Sie ist ein Schlag ins Gesicht derer, die das Narrativ aufrechterhalten, die Empfänger von Sozialleistungen seien allesamt unverschuldet in Not geraten und würden nichts lieber tun, als zu arbeiten, wenn man sie nur ließe.
Diese Zahl – 3,6 Prozent – wirft ein grelles Licht auf eine unbequeme Wahrheit: Es gibt offenbar einen nicht unerheblichen Teil von Leistungsbeziehern, deren Motivation, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, gegen null tendiert. Warum auch? Das System macht es ihnen bequem. “Wir geben denen Geld fürs Zuhause bleiben, bezahlen ihn auch noch die Wohnung”, bringt es Jendricke auf den Punkt.
Es ist diese brutale Ehrlichkeit, die den Fall Nordhausen so explosiv macht. Der SPD-Landrat traut sich zu sagen, was viele denken, aber niemand – schon gar nicht in seiner Partei – auszusprechen wagt. Er fordert Konsequenzen, er will “Druck machen”. Er will Sanktionen, die längst überfällig seien. Er appelliert an die Berliner Politik, aufzuwachen und die Realität anzuerkennen.

Die Kluft: Berliner Blase gegen kommunale Realität
Und hier offenbart sich der tiefste Graben in der deutschen Politik. Es ist der Graben zwischen der “Berliner Blase” und der kommunalen Realität. Während in den Hauptstadtdiskussionen Begriffe wie “Menschenunwürde” und “soziale Kälte” dominieren, sobald jemand das Prinzip “Fördern und Fordern” auch nur erwähnt, kämpfen die Kommunalpolitiker vor Ort an der Front.
Sie sind es, die die Kosten für die Agentur für Arbeit, für soziale Leistungen und auch für die Flüchtlingsintegration tragen müssen. Und die Kassen sind leer. Jendricke ist kein Einzelfall. Man erinnert sich an Tanja Schweiger in Regensburg, eine weitere Lokalpolitikerin, die mit ihrer schonungslosen Analyse der Migrationspolitik bei Talkshows wie Markus Lanz aneckte – und von vielen Bürgern dafür gefeiert wurde, endlich “die Wahrheit” zu sagen.
Diese Politiker sind nicht über die sicheren Listenplätze ihrer Parteien abgesichert. Sie sind oft Direktkandidaten, sie müssen sich den Wählern stellen. Dem Nachbarn beim Bäcker, dem Handwerker beim Metzger. Sie können sich nicht in ideologischen Debatten verstecken, wenn der Gemeindehaushalt kollabiert. Sie hören den Zorn der Bürger ungefiltert. Und der Zorn wächst.
Der “Nettosteuerzahler”: Der vergessene Held des Systems
Dieser Zorn hat einen Namen: der “Nettosteuerzahler”. Es ist die Figur, die in der deutschen Sozialdebatte oft vergessen wird, die aber die gesamte Last trägt. Es ist der Facharbeiter, die Pflegerin, die mittelständische Unternehmerin. Es sind die Menschen, die, wie es im Video des Kanals “Steuern mit Kopf” heißt, “um 5 oder 6 Uhr aufstehen, zur Arbeit gehen, eine Stunde im Stau stehen, 8 oder 10 Stunden arbeiten, wieder nach Hause fahren und sich um Familie und Kinder kümmern.”
Diese Menschen finanzieren den Sozialstaat. Sie finanzieren das Bürgergeld für die 212 Personen in Nordhausen, die nicht zur Arbeit erschienen sind. Und sie fragen sich zunehmend: Ist es das noch wert? Ist dieses System noch gerecht?
Die Zahlen geben ihnen recht. Der Sozialstaat weist ein Milliardendefizit auf – bis 2029 sollen es 179 Milliarden Euro sein. Die Agentur für Arbeit selbst meldet ein Milliardenloch. Das Mantra “Wir können uns das nicht mehr leisten” ist längst keine rechte Polemik mehr, sondern bittere Realität in den Kämmerer-Stuben der Republik.
Parallelen: Die unbequeme Wahrheit der Flüchtlingsdebatte
Die Debatte um die Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger weckt unweigerlich Erinnerungen an eine ähnliche Diskussion, die vor nicht allzu langer Zeit im Kontext der Flüchtlingsmigration geführt wurde. Auch damals wurde gefordert, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen.
Die Kritiker sprachen von Ausbeutung und falschen Anreizen. Die Befürworter sahen es als Chance zur Integration und als Test für die Ernsthaftigkeit derer, die hier Schutz suchten. Was ist passiert? Berichten zufolge hatte die bloße Ankündigung einer solchen Maßnahme erstaunliche Effekte. Einige, so wird gemunkelt, deren “Fluchtursache sich plötzlich in Luft auflöste”, verschwanden auf mysteriöse Weise aus dem System. Andere wiederum ergriffen die Chance und fanden den Einstieg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Die Parallele ist offensichtlich: Eine Arbeitspflicht, und sei sie noch so niedrigschwellig, wirkt wie ein Filter. Sie trennt diejenigen, die wirklich wollen, von denen, die es sich bequem gemacht haben. Und genau diesen Filter legt Jendricke nun auf das Bürgergeld-System an.

Die Büchse der Pandora ist offen
Matthias Jendricke hat mit seinem Vorstoß die Büchse der Pandora geöffnet. Die Debatte, die er losgetreten hat, geht weit über Nordhausen hinaus. Sie stellt die ganz großen Fragen: Wie viel Faulheit kann sich eine alternde Gesellschaft noch leisten? Wie viel “Zuhausebleiben” auf Kosten anderer ist sozial gerecht? Und wann kippt ein System, das Leistung nicht mehr belohnt, sondern bestraft?
Es ist der Aufstand der Basis gegen die Ideologie. Der Aufstand derer, die jeden Tag die Realität verwalten, gegen die, die in Berlin eine Utopie finanzieren wollen, für die das Geld nicht mehr da ist.
Vorschläge für Lösungen gibt es, manche sind so radikal wie die von Jendricke. Mancher fordert die Abschaffung des Mindestlohns, um Millionen in einfache Arbeit zu bringen. Andere blicken neidisch auf Systeme wie das in Dubai, das angeblich effizienter sei und Menschen schneller zurück in die Leistung bringe, weil die Unterstützung von vornherein zeitlich begrenzt ist.
Eines ist sicher: Die Zeit des Wegschauens ist vorbei. Die “Generation Faulenz” ist kein Schimpfwort mehr, sie ist eine politische Herausforderung. Matthias Jendricke, der SPD-Mann aus Thüringen, hat dafür gesorgt, dass Deutschland über diese Herausforderung sprechen muss. Ob es will oder nicht.




