đ„Schock in Bad Salzuflen: AfD-Politikerin zur Vize-BĂŒrgermeisterin gewĂ€hlt â CDU und SPD fassungslos ĂŒber geplatzte Absprachen
Ein politisches Beben erschĂŒttert die Idylle von Bad Salzuflen und sendet Schockwellen durch die Parteizentralen in Nordrhein-Westfalen und darĂŒber hinaus. In einem demokratischen Akt, der die etablierten Parteien CDU, SPD und GrĂŒne in Fassungslosigkeit versetzt, wurde Sabine Rinknecht, eine Politikerin der AfD, zur dritten stellvertretenden BĂŒrgermeisterin der 54.000-Einwohner-Stadt gewĂ€hlt. Was als normaler parlamentarischer Vorgang hĂ€tte gelten können, entwickelt sich zu einem politischen Drama, das die tiefen Risse im Fundament der sogenannten âBrandmauerâ offenlegt. Die Reaktionen der Verlierer sind ein LehrstĂŒck ĂŒber ein erschĂŒttertes DemokratieverstĂ€ndnis und die Panik vor einem Machtverlust, der sich nicht mehr kontrollieren lĂ€sst.
Was genau ist in der Stadt im Kreis Lippe geschehen? Es war eine geheime Wahl im Stadtrat, die alles auf den Kopf stellte. Eigentlich hatten die etablierten KrĂ€fte â allen voran CDU-BĂŒrgermeister Dirk Tolkemitt â einen anderen Plan. Eine Kandidatenliste mit Vertretern von CDU, SPD und GrĂŒnen war vorgesehen, ein abgemachtes Spiel, wie es in der Kommunalpolitik an der Tagesordnung zu sein scheint. Doch dieser Plan scheiterte grandios. Die Liste erhielt nicht die erforderliche Mehrheit. Der Kandidat der GrĂŒnen fiel durch.

Stattdessen trat Sabine Rinknecht von der AfD an und erhielt 16 Stimmen. Das Pikante daran: Die AfD-Fraktion selbst verfĂŒgt nur ĂŒber 13 Sitze im Stadtrat. Das bedeutet unweigerlich, dass mindestens drei Abgeordnete aus anderen Fraktionen â mutmaĂlich aus den Reihen von CDU, SPD oder FDP â in der AnonymitĂ€t der Wahlkabine ihr Kreuz bei der AfD-Kandidatin gemacht haben mĂŒssen. Ein unfassbarer Tabubruch fĂŒr die einen, ein Akt gelebter Demokratie fĂŒr die anderen. Rinknecht, die nun den BĂŒrgermeister bei reprĂ€sentativen Terminen vertreten darf, war nach eigenen Angaben âsehr ĂŒberraschtâ, freute sich aber ĂŒber das Ergebnis. Es sei ein âErgebnis unserer Arbeit in der Stadtâ.
Die Reaktionen aus dem AfD-Lager lieĂen nicht lange auf sich warten. Parteichefin Alice Weidel gratulierte umgehend telefonisch und feierte den Vorgang auf der Plattform X (ehemals Twitter) als âsensationellen Erfolgâ. Ihre Botschaft war unmissverstĂ€ndlich: âDie Demokratie lĂ€sst sich nicht von Brandmauern aufhalten.â Und in der Tat wirft dieser Vorgang ein grelles Licht auf die FragilitĂ€t ebenjener Brandmauer. Sie wurde nicht von auĂen eingerissen, sondern von innen, von anonymen Abgeordneten, die sich offensichtlich dem Fraktionszwang oder den vorab getroffenen Absprachen widersetzten.
Die Reaktionen der etablierten Parteien sind ein Zeugnis tiefer Frustration und eines kaum verhohlenen Zorns. Anstatt das demokratische Wahlergebnis anzuerkennen, folgte eine Welle der Empörung. BĂŒrgermeister Dirk Tolkemitt (CDU) ĂŒbte im WDR-Interview scharfe Kritik â jedoch nicht an der AfD, sondern an den eigenen Leuten, den anonymen Abweichlern. Er kritisierte die sieben Kollegen, die mit âNeinâ oder Enthaltung gegen die ursprĂŒngliche Kandidatenliste gestimmt hatten. âDurch ihr Zutun haben sie aktiv dazu beigetragen, auch wenn Sie die AfD nicht gewĂ€hlt habenâ, so Tolkemitt.
Dieser Satz ist ein Offenbarungseid. Er offenbart ein VerstĂ€ndnis von Demokratie, bei dem das Ergebnis bereits vor der Wahl feststehen muss. Der BĂŒrgermeister beklagte, das Ergebnis zeige, âdass man sich anscheinend auf Absprachen im Stadtrat im Vorfeld nicht verlassen kann.â Die Zusammenarbeit, so seine dĂŒstere Prognose, werde nun âdeutlich schwierigerâ. Man muss sich das klarmachen: Ein gewĂ€hlter BĂŒrgermeister beklagt öffentlich, dass eine geheime Wahl nicht nach seinem Drehbuch verlaufen ist. Es ist der blanke Hohn auf das Prinzip einer Wahl, die per definitionem ergebnisoffen sein muss.
Tolkemitts Reaktion entlarvt die oft geheuchelte Rede vom âAbgeordneten, der nur seinem Gewissen verpflichtet istâ. In der RealitĂ€t, das wird hier ĂŒberdeutlich, herrscht der Fraktionszwang, die abgesprochene Linie. Wer ausschert, ist ein VerrĂ€ter.
Noch weiter ging der BĂŒrgermeister in seinem Appell an die beiden groĂen Fraktionen CDU und SPD. Man mĂŒsse âdiese schlimme Sacheâ â gemeint ist die demokratische Wahl einer AfD-Politikerin â nun nutzen, âum uns zusammenzuschlieĂen und der Bevölkerung Badsalz Uflins zu zeigen, dass wir zusammen in der Lage sind zu gestalten, ohne KrĂ€fte drumherum.â Diese Formulierung âohne KrĂ€fte drumherumâ ist nichts anderes als die offene Aufforderung zur Ausgrenzung einer demokratisch gewĂ€hlten Partei, die in Bad Salzuflen bei der Bundestagswahl 2022 im Wahlkreis Lippe I bereits ein erschreckend starkes Ergebnis von 21,8 Prozent einfuhr und der CDU und SPD dicht auf den Fersen war.
Die GrĂŒnen, die bei der Wahl ihren Kandidaten verloren, stimmten in den Chor der Entsetzten ein. Robin Wagener, ein GrĂŒnen-Politiker aus Bad Salzuflen, wollte die Wahl nicht als ânormalâ hinnehmen. âEs ist ein Vorgang, der weit ĂŒber kommunale Einzelheiten hinausreichtâ, warnte er. âWenn demokratische KrĂ€fte nicht zusammenstehen, dann profitieren diejenigen, die unserer Demokratie von innen heraus aushĂŒllen wollen.â Die AfD, so Wagener im klassischen Duktus, wolle ânicht gestalten, sondern spaltenâ und lebe âvon Angst und Ressentimentâ.
Diese Argumentation kehrt die RealitĂ€t auf den Kopf. Ist es nicht vielmehr ein Aushöhlen der Demokratie, wenn man geheime Wahlen durch Vorabsprachen ad absurdum fĂŒhren will? Ist es nicht ein Akt der Spaltung, wenn man gewĂ€hlte Vertreter als âKrĂ€fte drumherumâ diffamiert, die man âzusammenâ bekĂ€mpfen muss?
Die Panik ist nicht unbegrĂŒndet, denn Bad Salzuflen ist kein Einzelfall. Erst diese Woche wurde im nordrhein-westfĂ€lischen Bochum-Watte erstmals ein AfD-Politiker, Cedrick Sonowski, zum zweiten stellvertretenden BezirksbĂŒrgermeister gewĂ€hlt. Auch hier das gleiche Muster: Sonowski erhielt eine Stimme mehr, als seine Partei Mandate in der Bezirksvertretung hat. Auch hier die gleiche Reaktion: âIch bin wĂŒtend, traurig und besorgtâ, klagte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Jan BĂŒlbecker. Man sei âentsetztâ, dass âdie demokratischen Parteien es nicht geschafft haben, das zu verhindern.â
Diese Reaktionen zeigen eine gefĂ€hrliche Verengung des Demokratiebegriffs. Demokratie ist fĂŒr viele in den etablierten Parteien offenbar nur noch dann gut, wenn das Ergebnis den eigenen WĂŒnschen entspricht. Eine Wahl, bei der ein AfD-Kandidat gewinnt â selbst wenn es sich um einen reprĂ€sentativen Posten ohne wirkliche MachtfĂŒlle handelt â wird als Betriebsunfall, als Verrat, ja als âschlimme Sacheâ gebrandmarkt.
Ein ehemaliger Journalist, Arne Heger, brachte die Verwirrung auf den Punkt, indem er in einer Mail an die Ratsmitglieder âklare Haltungâ einforderte. Das Amt sei ein âöffentlich sichtbares Signal dafĂŒr, wofĂŒr diese Stadt stehen möchte.â Die Ironie ist: Die Stadt, vertreten durch ihre gewĂ€hlten Ratsmitglieder, hat ein Signal gesendet. Nur ist es nicht das Signal, das Herr Heger, Herr Tolkemitt oder Herr Wagener hören wollten. Das Signal lautet: Die Brandmauer, die man medial und politisch mĂŒhsam hochgezogen hat, ist in der RealitĂ€t der kommunalen Parlamente, in der AnonymitĂ€t der Wahlkabine, lĂ€ngst durchlĂ€ssig geworden.

Die WĂ€hler, die 21,8 Prozent fĂŒr die AfD gestimmt haben, sehen nun, dass ihre Stimme im Parlament angekommen ist. Und die Abgeordneten, die anonym fĂŒr Rinknecht stimmten, haben vielleicht einfach nur ihrem Gewissen oder ihrer pragmatischen EinschĂ€tzung einer Kollegin im Rat den Vorzug gegeben â und nicht einer von oben verordneten ideologischen Marschroute. Das als âundemokratischâ oder âAushöhlungâ zu bezeichnen, ist eine Dreistigkeit, die an LĂ€cherlichkeit grenzt. Es ist das genaue Gegenteil: Es ist der Sieg der geheimen Wahl ĂŒber den Fraktionszwang. Es ist ein Akt, der zeigt, dass Demokratie eben doch kein Kindergarten ist, in dem vorher abgesprochen wird, wer gewinnen darf und wer nicht.




